Oliver "Boo" Dalrymple ist dreizehn Jahre alt, hochbegabt, wenig be- liebt ... und vor allem tot.
Gerade noch hat er an seinem Schulspind gestanden, in das Perioden- system vertieft, da findet er sich im Wiedergeburtsraum eines selt- samen Jenseits wieder. Dort begrüßt ihn Thelma, ein schwarzes Mädchen, das in den 60er Jahren gelyncht wurde, und erklärt ihm, was es mit seiner veränderten Umgebung auf sich hat.
In einer von hohen Mauern umgebenen Stadt leben ausschließlich ver- storbene amerikanische Jugendliche in seinem Alter. Quicklebendig verbringen sie ihre Zeit wie auf einem überdimensionalen Schulhof, sausen auf Fahrrädern umher und werden von einem hippiehaften Gott namens Zig mit allem versorgt, was Dreizehnjährige so zum Leben brauchen (naja, zumindest was ein Gott sich darunter vorzustellen scheint).
Boo hat gerade begonnen, sich an das Nachleben zu gewöhnen, als sein ehemaliger Klassenkamerad Johnny in der Stadt auftaucht und ein überraschendes neues Licht auf seine Vergangenheit wirft.
Auf der Suche nach der brutalen Wahrheit wird ihre gerade erst ge- schlossene Freundschaft auf eine harte Probe gestellt ...
Aus dem kanadischen Englisch übersetzt von Brigitte Walitzek
Lesealter: junge Erwachsene
Deutsche Erstausgabe
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Gebundenes Buch / Hardcover
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Die Geschichte, die in diesem Buch erzählt wird, beginnt am 7. September 1979. Oder doch schon einige Zeit davor? Es kann auch sein, daß sie einen Monat nach diesem Datum beginnt. Soweit wir uns erinnern, beginnt Boo dieses Buch als längeren Brief an seine Eltern etwa einen Monat nachdem er vor seinem Spind 106 an der Helen-Keller-Junior-High-School gestorben ist. An einem angeborenen Herzfehler, soweit er sich erinnert. Allerdings können Erinnerungen auch täuschen. Oder sie können auf die eine oder andere Weise beeinflußt werden, etwa durch einen eigenwilligen Gott namens Zig. Aber fangen wir vorne an. Boos Buch (oder sein Brief) beginnt kurz nach seinem vorzeitigen Ableben und der Leser erlebt (in Boos beinahe wissenschaftlich gehaltener Sprache) mit, wie er in einem Krankenzimmer aufwacht und sein Nachleben in dieser merkwürdigen Miniaturwelt beginnt. Nach und nach erfahren Boo und der Leser mehr über diese neue Welt unjd ihre Bewohner. Wobei der Leser ganz nebenbei auch mehr über Boo erfährt, etwa, daß Boo sein Spitzname ist, weil er mit seiner bleichen Haut eben auf seine Mitschüler wie ein Gespenst wirkte, er das Leben eher wissenschaftlich betrachtet, sozial eher ungeschickt war und wohl durch einen angeborenen Herzfehler - ein Loch im Herzen - vor seinem Spind gestorben ist. Diese letzte Gewißheit ist allerdings auch die erste, die der Autor gemeinerweiser im Leser aufkommen läßt - um sie wie diverse folgende durch eine neue zu ersetzen. Boo schreibt auch diese Erinnerungen in einem eher wissenschaftlichen Sprachstil, der sich aber im Laufe des Buches etwas belebt, so wie auch Boo eine Veränderung (nach der anderen) durchlebt. Aber keine Angst, diese Geschichte ist wirklich gut zu lesen und auch keines jener unsäglichen Betroffenheits-Bücher. Zwischenzeitlich könnte zwar der Eindruck aufkommen, daß dies der 265. "Amoklaufschütze an der Schule-Betroffenheits-Roman" werden könnte, aber man sollte sich davon auf keinen Fall am Weiterlesen hindern lassen. Neben der Suche nach der Todesursache und zeitweise auch der Jagd nach einem Täter spielt der Autor auch damit, daß die neue Welt, in die die dreizehnjährigen nach ihrem Ableben geworfen werden, ein auf kleinem Raum und eine Altersklasse beschränktes Abbild (oder Zerrbild) der Wirklichkeit ist, die sie hinter sich gelassen haben. Es gibt die Aktivisten, die Verantwortlichen und nicht zuletzt die ungebetenen Rächer, die das neue Leben nicht unbedingt himmlich erscheinen lassen. Am Ende wird nicht alles eindeutig aufgelöst, es wird eher dem Leser überlassen, aus einzelnen Szenen sich selbst ein Gesamtbild von Boos Leben und Sterben zusammenzusetzen. Auch von der Gestaltung her hat man sich bei diesem Buch etwas gedacht, und Boos Liebe zur Tabelle der Elemente (und die er auch kurz vor seinem Tode auswendig hersagen wollte) für die Zählung der Kapitel genutzt. Jedes Kapitel trägt damit die Nummer eines Elements (und dessen Bezeichnung). Allerdings hat man dabei ein ganz klein wenig geschummelt, denn wer jetzt ist Umkehrschluß davon ausgeht, daß dieses Buch 106 Kapitel lang ist, wird sich getäuscht sehen, denn mitunter werden die Nummern auch in Gruppen hintereinandergesetzt und stehen auch schon einmal dafür, daß ein zeitlicher Bruch oder ein tiefgreifendes Erlebnis für eine Ausszeit im Ablauf sorgt. Daneben werden im Buch häufig Bezeichnungen genutzt, die aus Literatur, Musik, Film und Fernsehen stammen, wie die Namen von Alben, Musikern oder Figuren aus Fernsehserien und Filmen. Alle werden erfreulicherweise in einem ausführlichen Anhang kurz erläutert (und könnten damit als Anregung dienen, beispielsweise eines dieser anderen Bücher zu lesen). Auch hier hat sich die deutsche Übersetzung sehr viel Mühe gegeben und neben den Originaltiteln auch, soweit noch zu ermitteln war, die Titel der deutschsprachigen Versionen mit angegeben. Alles zusammen ist dies ein ausgesprochen spannend geschriebenes Buch für Herz und Hirn mit ernsten aber auch unterhaltsamen Teilen, und vielen unerwarteten Drehungen und Wendungen, das wir nur sehr ungern aus der Hand gelegt haben. Und wie schon angedeutet, ist die deutsche Übersetzung wirklich eine Übertragung in die deutsche Sprache und nicht, wie heute leider so oft, so computermäßig, daß man die Originalsprache an jeder dritten Formulierung erkennen kann. Wir würden uns freuen, wenn der Verlag auch weitere Bücher von Neil Smith auf diese Weise für die deutschsprachigen Leser herausbringen würde. Dieses Buch ist für uns auf jeden Fall ein absoluter Top-Tip für junge wie ältere Leser gleichermaßen.
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